Blasmusikpop oder wie die Wissenschaft in die Berge kam : Roman

Kaiser, Vea, 2012
Gemeindebücherei Heiligenbrunn
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Medienart Buch
ISBN 978-3-462-04464-5
Verfasser Kaiser, Vea Wikipedia
Systematik DR - Romane, Erzählungen und Novellen
Verlag Kiepenheuer und Witsch
Ort Köln
Jahr 2012
Umfang 491 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Vea Kaiser
Annotation Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html);
Autor: Katharina Ferner;
Blasmusikpop ist mindestens so laut und ungewöhnlich, wie es der Titel verspricht. (DR)
St. Peter am Anger ist ein besonders kleines Dorf, das sich sogar noch abseits von anderen Dörfern, angrenzend an die unbesteigbare Nordwand (bergbarbarisch Mordwand), befindet. In diesem Dorf gibt es seit Jahrhunderten dieselben Traditionen und Bräuche, die Familienhierarchien und Fortpflanzungspläne sind genauestens auf den Grundplan abgestimmt und sollte jemand aus der Reihe tanzen, wird dieser meist auf Druck der Dorfgemeinschaft wieder zur Vernunft gebracht. Ein Skandal in der Familie Gerlitzen ist der Auslöser dafür, dass einer der Dorfbewohner das abgeschiedene Dorf verlässt und sein Glück in der Stadt sucht. Die städtischen Neuheiten, die er später nach St. Peter am Anger zurückbringt, werden von seinem Enkel weitergeführt.
Neben der persönlichen Geschichte einer Familie werden in wissenschaftlichem Stil verfasste Einträge zur Entwicklung der Dorfgemeinschaft an den Anfang jedes Kapitels gestellt. Spielerisch wird anhand dieser Geschichte der oftmals durch Vorurteile belastete Stadt-Land-Konflikt zum zentralen Thema des Romans. Auch sprachlich wird zwischen Hochsprache und so genanntem Bergbarbaren-Dialekt unterschieden. Ein gelungenes Debüt, das nicht nur unterhaltsam, sondern auch kritisch mit dem oftmals verschobenen Bild ländlich-städtischer Klischees umgeht.

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Quelle: LHW.Lesen.Hören.Wissen (http://www.provinz.bz.it/kulturabteilung/bibliotheken/320.asp);
Autor: Markus Fritz;
Die 23 Jahre alte Vea Kaiser hat sich getraut, einen Heimatroman zu schrieben. St.Peter am Anger heißt das Dorf in den österreichischen Alpen. Dort lebt Anfang der 60er Jahre ein junges Paar: Johannes Gerlitzer, Holzschnitzer und Holzfäller und seine junge Frau Elisabeth, beide haben Bauchschmerzen und gehen zum Arzt. Sie ist schwanger, er hat einen 14 Meter langen Bandwurm. Elisabeth bringt eine Tochter Ilse zur Welt. Das Mädchen hat schwarze Locken. Niemand in der Familie hat schwarze Haare, alle sind blond, nur der Nachbar hat schwarze Haare. Johannes verlässt Hals über Kopf die Familie, reist nach Wien, um dort Medizin zu studieren. Er will der erste Studierte aus St. Peter sein und will sein Leben der Erforschung der Würmer und Parasiten widmen. Nach 9 Jahren kehrt er als Arzt nach St. Peter zurück. Er zählt nun zu den "Hochgschissenen", wie man die Akademiker im Dorf nennt. Sein Verhältnis zur Tochter Ilse ist stark belastet, besonders als sie sich mit Alois, dem Sohn einer Zimmermannsfamilie, dem ärgsten Dorfrüpel anfreundet. Johannes lebt ganz für seinen Beruf und die Wissenschaft. Ilse wird gegen den Willen des Vaters den Zimmermann Alois heiraten. Nach 10 Jahren wird sie endlich schwanger und bringt den kleinen Johannes zur Welt. Der große Johannes wird zum Vorbild für den kleinen: er zeigt ihm die Welt der Wissenschaft und der Literatur. Er liest ihm die Klassiker der Antike (Herodot und Homer) vor und experimentiert mit ihm am Mikroskop. Dann stirbt der "Opa Doktor" bei einem Unfall. Der Kleine ist schmächtig und ist beim Fußball, zu dem ihn sein Vater Alois mitschleppt, nicht zu gebrauchen, er ist im Dorf ein Außenseiter. Johannes darf zum Studieren in ein klösterliches Privatgymnasium. Dort gibt es einen Klub, eine Vereinigung zur Erhaltung der klassischen Bildung. Der Wahlspruch lautet: Latein kann man, Griechisch liebt man. Ein wunderbarer witziger Heimatroman, mit klugen Überlegungen über die klassische Bildung und die Geschichtsschreibung.

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Quelle: Literatur und Kritik;
Autor: Evelyne Polt-Heinzl;
Wie harmlos dürfen Debütantinnen schreiben?
Vea Kaisers Debüt "Blasmusikpop"
Mitunter kann das spannendste an einem Romandebüt das sein, was mentalitätshistorisch daran sichtbar wird. Vea Kaisers "Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam" könnte man schon vom Titel her aus zwei Gründen unter diesem Aspekt sehen: Er partizipiert am "Weltmusik"-Trend ebenso wie an der grassierenden Land-Nostalgie.
Manche Begriffe scheinen plötzlich aufzutauchen, aber meist nicht zufällig. "Weltmusik" muss seit etwa zwei Jahrzehnten für alles herhalten, was irgendwie mit Grenzgängen zwischen populären westlichen und nichtwestlichen Musiktraditionen zu tun hat, also alles, was früher als Volksmusik; Folk oder Traditional firmierte, sich aber bei weitem nicht so gut vermarkten ließ. Das Label rehabilitierte - durchaus zu Recht im Übrigen - sogar die Tuba als basales Instrument der heimischen Blasmusikkapellen, die Generationen von Jugendlichen ein akustisches Fluchtmotiv lieferte. Gebildet ist der Begriff analog zur "Weltliteratur". Als markantes erstes Zeugnis gilt Goethe, der zu Eckermann vom 31. Jänner 1827 gesagt haben soll: "National-Literatur will jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Welt-Literatur ist an der Zeit und jeder muß jetzt dazu wirken." Interessant ist der Zeitpunkt: Die westlichen Länder hatten gerade den Rest der Welt in prinzi­piellem kolonialem Einverständnis aufgeteilt. Die damals noch länder- nicht konzernweise agierenden Global Player bereiteten die Stimmung vor, dass auch die Literatur weltumspannend gedacht werden sollte. Mittlerweile ist ein Großteil der Kolonien wieder outgesourct, wofür sich der Sprachgebrauch "in die Unabhängigkeit entlassen" eingebürgert hat. Vor zwei Jahrzehnten etwa ging man dann daran, unter dem Schlagwort Globalisierung mit anderen Mitteln neu zu kolonialisieren: Die Konzerne verlagern ihre Standorte in Billiglohnländer mit frühkapitalistischen Arbeitsbedingungen, machen enorme Gewinne und reichen ein wenig davon in Form billiger Massenware an uns alle weiter. Die "Weltliteratur" gab es schon, also wurde nun die "Weltmusik" erfunden. Im arabischen Raum verstand man darunter traditionell die klassische Musik des Abendlands - was heute niemand daran hindert, den Begriff auch für arabische Musiktraditionen zu verwenden.
Das zweite Begriffsfeld, das der Titel "Blasmusikpop" einspielt, ist das eigenwillige Dorf-Revival, das mit dem neuen Jahrtausend einsetzte und flächendeckend aus allen Medienkanälen auf uns niederprasselt. Online kann man Bauer spielen, als Urlauber seine Lieblingskuh mieten oder die Ennstaler Almmatura absolvieren; wieder zu Hause den Jungbauernkalender über seinem Bett montieren, auf den Reichweitenrekord "Bauer sucht Frau" mit einem entsprechenden Angebot reagieren oder einen Fernsehkommissar in sorgfältig zurechtgeschnittener Landidylle bei seinen Ermittlungen beobachten. Lächerlich daran sind nicht die Reste der Bauernkultur, sondern die fatale Ungleichzeitigkeit, denn "das Land" gibt es hierzulande überhaupt nur mehr als medial vermarktetes. In der Realität ist es längst zersiedelt von den allerorten wie Ufos gelandeten Eigenheimsiedlungen, die zusammen mit den EU-Vorgaben die Reste bäuerlicher Strukturen genauso final ruinieren wie die von den Gemeinden eifrig umworbenen Gewerbeparks und Einkaufszentren.
Und nun legt im Jahr 2012 eine junge Autorin einen fast 500 Seiten starken Roman über das "gottverlassene" Dorf St. Peter am Anger vor, das sich so idyllisch präsentiert wie der auf den Vor- und Nachsatzblättern in ansprechenden Blautönen sorgsam aufgezeichnete Ortsplan. Das erzählte Dorf ist in etwa gleich weit ab von der Welt wie der Realität, dass man lesend nur staunen kann. "Stets hatte er sich vom Dorf ferngehalten, weil es ihm langweilig und stumpf erschienen war, und nun, da er am Dorfleben teilnahm, war sein Leb 18ee en plötzlich aufregend geworden. Johannes schüttelt den Kopf und wunderte sich über die Welt." Das ist das Resümee des Romans aus dem Mund von Johannes, dem Enkel des Ahnherrn, mit dem die Familiensaga einsetzt. Dieser Johannes Gerlitzen, Herrgottsschnitzer und Holzarbeiter, wurde just zeitgleich mit der Schwangerschaft seiner Frau von einem Bandwurm befallen. Die pathogene Inbesitznahme seines Körpers hat keineswegs nur physische Folgen, denn der gute Mann wird von einem unstillbaren naturwissenschaftlichen Interesse befallen und übersiedelt schon bald in die rätselhaft gut sortierte Gemeindebibliothek. Als ihm die dörflichen Wissensspeicher nicht mehr genügen, beschließt er, es ist das Jahr 1961, in die Welt zu gehen, den Bandwurm zu erforschen und Arzt zu werden. Ohne Schulbildung, ohne Geld, aber mit Erfolg. Als er nach vielen Jahren tatsächlich als Arzt zurückkehrt, kann er gerade noch, medizinisch korrekt, Parkinson bei seiner einst schnöde verlassenen Gattin diag­nostizieren und richtet sich umgehend als Dorfarzt ein. Seine familiäre Zielperson wird freilich nicht seine Tochter Ilse, sondern dann deren Sohn Johannes, geboren im Jahr 1992, dem er von Kleinkindesbeinen an den Weg zu den Wissenschaften weist, vorwiegend anhand von Wurmpräparaten, die seine Leidenschaft geblieben sind. Tatsächlich liebt der Kleine seinen "Doktor-Opa" über die Maßen und ist kindlich wild entschlossen, in dessen intellektuelle Fußstapfen zu treten. Der Dünkel also, so lernen wir daraus, wurde ihm von seinem Großvater in die Wiege gelegt. Mit dem Dorf und seinen Bewohnern oder auch nur mit harmlosen Kinderspielen will dieser junge Tolpatsch zum Leidwesen seines grundnormalen Vaters nichts zu tun haben. Die Symbiose Großvater-Enkel findet ein jähes Ende, der alte Herr schätzt die Gesetzmäßigkeiten eines rutschenden Hanges falsch ein, hört nicht auf die Erfahrungswerte der anwesenden Dorfbewohner und kommt so bei einem Unfalleinsatz zu Tode.
Als erstes Kind aus St. Peter besucht Johannes junior dann die Klosterschule im Tal, wechselt hier von den Natur- zu den Humanwissenschaften und gerät in einen elitären Club reicher Bürgersöhne. Die Pater sind naturgemäß alle vorbildliche Pädagogen, jedenfalls untadelig. Dieser Teil des Romans wirkt fast wie ein korrigierender Kommentar zu den bekannten Diskussionen unserer Tage. Als dann freilich Geldnöte auftauchen und neureiche Geldgeber mitzumischen beginnen, ist die gute Zeit für die Pater wie die Klosterschule vorbei, was zu recht grotesken Widerstandsaktionen führt. Johannes aber, der Vorzugsschüler, scheitert schlussendlich wider Erwarten bei der Matura und das wirft ihn zurück auf sein Dorf - zunächst noch mit der überheblichen Geste, als neuer Herodot Leben und Bräuche der "Barbaren" im Dorf aufzuzeichnen. Als Frucht seiner Arbeit lassen sich die drucktechnisch abgesetzten Chronik-Einschübe verstehen, die von holpriger Humorigkeit sind. Aber bald schon wird Johannes in die Vorgänge sehr unmittelbar involviert. Die von ihm einst verachteten Dörfler erweisen sich als überaus klug und sympathisch, er fühlt sich wohler und wohler, wird schließlich als Gipfel der Anerkennung zum Präsidenten des Fußballvereins gewählt und organisiert als solcher ein skurriles Event. Nur vier alte Bauerntrottel sind nicht einmal in diesem Erzählkontext zu retten, aber das ist kein Problem, ihnen geht rechtzeitig der Benzin aus und so unterbleibt ihre Störaktion.
Leicht verkürzt, aber nicht verfälscht, lautet die Lehre des Roman: Intellektuelle Anmaßung führt früher oder später zum tiefen Fall. Der wirkliche menschliche Reichtum ist im Dorf zu finden, das in der hier gezeigten Form freilich mit der österreichischen Realität nichts zu tun hat. Allein die Mütterrunde, die sich regelmäßig im Dorfcafé trifft, deren Betreiberin Moni immer leicht bekifft ist, wirkt schon sehr speziell. Manchmal will man an Ironie glauben, aber so richtig geht das doch nicht auf, oder soll man Passagen wie die folgende einfach als etwas schlicht verpackte Handlungsanweisungen für Regionalpolitiker verstehen? "Da der alte Gelenkbus, mit dem er acht Jahre lang zwischen Schule und Dorf gependelt war, am Tag seiner Matura ein für alle Mal den Geist aufgegeben hatte, fuhr Johannes zum ersten Mal im modernen, wendigen, leisen Bergbus zurück, der sogar über eine Klimaanlage verfügte und dessen Sitze nach frischer Farbe rochen. Er staunte, als er den geänderten Busfahrplan las: Die Fahrtzeit [!] hatte sich durch den leistungsstarken Motor halbiert, und dementsprechend wurden nun statt drei täglich sechs Fahrten zwischen Lenk und St. Peter angeboten." Das wäre tatsächlich eine schöne Perspektive für die österreichischen Regionen, in denen nur leider radikal Konträres geschieht: Überall, wo öffentliche Busverbindungen gebraucht wurden, werden sie eingespart oder gestrichen.

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